Eine Ausstellung in Bayern verdeutlicht die Dimension der NS-Zwangsarbeit in der Region und dokumentiert die fortlaufende Diskussion um Friedrich Flick.
PRESSEMITTEILUNG der Projektgruppe Zwangsarbeit (www.projektgruppe-zwangsarbeit.de):
„Der Flick hat nichts dafür gekonnt für die Zwangsarbeiter. Dem haben sie die automatisch
gegeben! Das ist nicht gesagt, dass der ein Kriegsverbrecher ist.“ – „Die Friedrich-Flick-
Straße existiert schon seit fünfzig Jahren. Dann sollten wir´s auch dabei belassen.“
Solche Aussagen filmten Schülerinnen in der Großen Kreisstadt Schwandorf
(Bayern/Oberpfalz), wo die deutschlandweite Diskussion um die Umbenennung von
Friedrich-Flick-Straßen in die nächste Runde geht. Der Widerstand dagegen, den Namen
des verurteilten Kriegsverbrechers aus dem Stadtbild zu entfernen, ist groß – im Stadtrat wie
in der Bevölkerung.
Dabei ist Schwandorf nicht irgend eine Stadt: Bei einem rechtsextremistischen
Brandanschlag kamen 1988 vier Menschen ums Leben. Das kommt noch häufig zur
Sprache, wenn Schwandorfer fordern, dass die Stadt sich mit ihrer NS-Vergangenheit und
deren Fortwirken bis heute offensiver auseinandersetzen muss.
Mit der Ausstellung „Schwandorf und das Städtedreieck unterm Hakenkreuz – NSZwangsarbeit
im ländlichen Raum“ will die Projektgruppe „Zwangsarbeit“ e.V. dazu einen
Beitrag leisten. Die Projektgruppe „Zwangsarbeit“ hat sich im Sommer 2009 aus
Journalisten, Historikern, Lehrern, Künstlern und engagierten Bürgern in Berlin und der
Oberpfalz gegründet. Unser Ziel ist es, das dringend notwendige Ausstellungsprojekt zur NSZwangsarbeit im ländlichen Raum zu entwickeln und umzusetzen.
Erstmals wurden nun Dokumente zur Geschichte der Zwangsarbeit in der Region
systematisch sondiert und ausgewertet – in regionalen und überregionalen Archiven,
Museen, Bibliotheken, Stadtverwaltungen und Privathaushalten.
„In den Archiven, gerade im Stadtarchiv Schwandorf, lagert ein riesiger Fundus an
Dokumenten zu dem Thema. Bislang war nur niemand daran interessiert, ihn auszuwerten“,
so Constanze Wolk, die Kuratorin der Ausstellung.
Insgesamt 116 Plakattafeln sind zu sehen. Die Ausstellung ist inhaltlich in drei Teile
gegliedert: 1. einen regionalen Ausstellungsteil, 2. einen Part zum verurteilten
Kriegsverbrecher Friedrich Flick, den ehemaligen Eigentümer des örtlichen Eisenwerks, und
3. einen allgemeinen Teil zum Thema „NS-Zwangsarbeit“ mit Auszügen aus der derzeit im Jüdischen Museum in Berlin gezeigten internationalen Wanderausstellung „Zwangsarbeit.
Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg“.
„Wir wollten einen Anfang wagen, sensibilisieren und Neugierde auf die eigene Geschichte
wecken, so dass vor Ort nachhaltig auch an die dunklen Kapitel erinnert wird. Dabei sollten
die Opfer der verbrecherischen Geschäftspolitik des größten Arbeitgebers in der Region
nicht vergessen werden“, so Chris Humbs, Journalist und einer der Initiatoren der
Ausstellung. Humbs weiter: „Dies soll eine Pilotausstellung sein, ein Modell für viele andere
ländliche Regionen in Deutschland, die ebenfalls noch größere Lücken in der historischen
Aufarbeitung der eigenen NS-Geschichte haben.”
Mehr als 50 Einzelschicksale und Erinnerungen von Zeitzeugen wurden – auch mit Hilfe von
Schülerinnen und Schülern des Beruflichen Schulzentrums Oskar-von-Miller –
zusammengetragen. „Gerade bei den Begegnungen mit den Zeitzeugen haben wir gemerkt,
dass die Schüler sehr interessiert sind an der lokalen Geschichte – und dass sie gar nichts
davon halten, die NS-Zeit unter den Teppich zu kehren“, sagt Constanze Wolk, Kuratorin der
Ausstellung.
Ein Beispiel aus der Recherche: Der Pole Tadeuz Dworakowski, geboren 1929, wurde als
15-Jähriger im Durchgangslager Neumarkt interniert. „Tausende waren hinter Stacheldraht
zusammengepfercht. Ich habe gesehen, wie Kinder verhungerten… Dann kamen `Käufer´
und nahmen uns mit nach Schwandorf zum Arbeitsamt. Es war wie auf dem Sklavenmarkt.“
Dworakowski musste bei der Konservenfabrik Gschossmann in Ettmannsdorf schuften. 1990
reist er noch einmal dorthin, um Belege für die Zwangsarbeit zu besorgen – ohne Erfolg.
„Man hat mich abserviert – ich bekam noch nicht einmal einen Händedruck.“
Zahlreiche Sponsoren unterstützten die Projektgruppe „Zwangsarbeit“ und ihre Partner, das
Landratsamt Schwandorf und das Berufliche Schulzentrum Oskar-von-Miller bei den
Recherchen und der Realisierung der Ausstellung: u.a. der EU-Fonds EUREGIO
EGRENSIS, der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds, die Stiftung „Erinnerung,
Verantwortung, Zukunft“ und die Firma Horsch Landmaschinen aus Schwandorf.
Am 12. November 2010 um 19 Uhr wird die Ausstellung im Beruflichen Schulzentrum Oskarvon-
Miller eröffnet. Tadeusz Dworakowski und weitere ehemalige Zwangsarbeiter aus Polen
und Tschechien werden anwesend sein und stehen für Interviews zur Verfügung. Zur
Eröffnung sprechen u.a. der Generalkonsul der Tschechischen Republik und der Landrat von
Schwandorf.
Anreisen wird auch eine Schülergruppe aus dem tschechischen Sokolov, der Partnerstadt
von Schwandorf. Parallel zu den Recherchen der Schwandorfer Schüler haben die
Jugendlichen in Sokolov sich mit den Erinnerungen an die NS-Zeit in ihrer Region
beschäftigt. Auch sie haben Interviews mit Zeitzeugen geführt, die in die Ausstellung
eingeflossen sind.
Im Rahmen der Ausstellung findet am 13. November in Schwandorf eine Podiumsdiskussion
zum Thema „Erinnerungskultur und die Causa Flick“ statt. Hier diskutieren unter anderen
Bernhard Gotto, Institut für Zeitgeschichte München und Petr Koura, Historiker aus Prag, mit
dem Fraktionsvorsitzenden der Schwandorfer SPD Franz Schindler, MdL, und den Bürgern
aus der Region.