Marcus O. Jones ist ein Geschichtsprofessor an der U.S. Naval Academy, der sich mit moderner deutscher Geschichte beschäftigt, und ein Berater des Institutes for Defense Analyses. Seine Homepage enthält keine wesentlichen Informationen, so dass seine Motivation unklar bleibt, sich ausgerechnet mit Friedrich Flick zu beschäftigen.
Beispielhaft beschäftigt sich der Autor mit der Flickschen Aneignung der Rombach-Stahlwerke in Elsaß-Lothringen 1941. Er meint, dieser Vorgang sage viel über das Verhältnis zwischen der deutschen Wirtschaft und dem Naziregime und deren gemeinsamer Rolle bei der Enteignung und Ausbeutung der Industrieanlagen im besetzten Europa aus. Dies lässt auf eine schonungslose Analyse hoffen, diese Hoffnung erfüllte sich aber leider nicht. Zwar wird erwähnt, dass das Naziregime ohne die Beteiligung der Wirtschaftsbosse der damaligen Zeit niemals wirksame Kriegsvorbereitungen hätte treffen können, aber diese Argumentation wird nicht weiter verfolgt. Die allseits bekannte Mittäterschaft von Flick (Arisierung, Freundschaft mit Hermann Göring, Mitgliedschaft im Freundeskreis Reichsführer SS etc.) wird erwähnt, aber die Schlussfolgerungen bleiben sehr oberflächlich. Lediglich an einer Stelle kommt Jones zu einer interessanten Interpretation. Flick sei keine wesentliche ideologische Unterstützung der Nazis nachweisbar. Gerade diese Abwesenheit von Ideologie betone jedoch seine Amoralität in seinen wirtschaftlichen Entscheidungen (S.33). Flicks Unterstützer wurden nicht müde zu betonen, dass er kein Nationalsozialist war und meinten, dadurch sei er entlastet. Wenn aber jemand, der angeblich dieser Ideologie ablehnend gegenüberstand sich trotzdem als Mittäter derart schuldig gemacht hat, so zeigt dies ganz deutlich eine höchst ausgeprägte charakterliche Verrohung zugunsten maximalen Profits. Im Gegensatz zu Flick hat sich der Saarländer Stahlmagnat Hermann Röchling, der auch bei Jones mehrfach Erwähnung findet, offen zum Nationalsozialismus bekannt. Dies hat jedoch ebenso wie bei Flick nicht dazu geführt, ihn im Nachkriegsdeutschland als Mittäter zu bezeichnen. Im Gegenteil, 1956 benannte der Rat der Stadt Völklingen einen Stadtteil nach ihm. Eine Initiative zur Umbenennung (http://www.hermann-roechling.de/) sieht sich aktuell ähnlichen Widerständen ausgesetzt wie bei der Umbenennung des ehemaligen Friedrich-Flick-Gymnasiums.
Durchaus überzeugen können hingegen die Ausführungen in den Kapiteln 3 und 4, die deutlich machen, warum Elsaß-Lothringen für die Vereinigung aus Naziregime und Wirtschaft eine derart große Bedeutung als Erzreserve hatte. Plastisch beschrieben wird das Geschacher der Wirtschaftsbosse um Betriebe in diesem Gebiet, bei dem Flick seine Freundschaft zu Göring wieder einmal zugute kam, so dass dieser ihm schließlich die Rombachwerke zusprach. Von Anfang an war klar, dass Flicks Engagement nicht als Treuhänderschaft ausgelegt war, sondern seine Aktivitäten nur Sinn machten, wenn eine spätere Übernahme geplant war. Hermann Röchling versuchte vergeblich, sich gegen die Zuerkennung der Rombachwerke an Flick auszusprechen. Im Kapitel 5 wird die Führung der Rombachwerke durch Flick dargestellt. Scheinbar habe sich Flick deutlich verkalkuliert, habe mehr investieren müssen als beabsichtigt. Allerdings hätte er dadurch laut Jones bei einem anderen Ausgang des Krieges in den Folgejahren erhebliche Gewinne erwirtschaften können, was offensichtlich Flicks Strategie war. Befremdlich ist, dass die Zwangsarbeit, von der gerade Flick sehr erheblich profitiert hat, nur in wenigen Sätzen erwähnt wird. Ebenso wird die mögliche Einflussnahme Flicks auf die Bedingungen der Sklavenarbeiter in Abrede gestellt, ein erstaunlicher Fehler, wird diese doch in den deutschen Publikationen (speziell Frei et al., 2009) durch entsprechende Quellen eindeutig belegt. Ferner wird Otto-Ernst Flick in seiner Führungsrolle bei den Rombachwerken positiv dargestellt. Er habe eine moderierende Rolle eingenommen und sich gut mit den Arbeitern verstanden. Bähr, Drecoll et al. (2008) kommen jedoch zu ganz anderen Schlüssen. Er habe massiv die Ausbeutung von Zwangsarbeitern betrieben und deren brutale Behandlung aktiv gebilligt. Diese handwerklichen Fehler überraschen, sind jedoch gute Beispiele für die Oberflächlichkeit dieser Veröffentlichung.
In den Schlussfolgerungen betont Jones zwar die essenzielle Wichtigkeit des Flick-Konzerns für die Umsetzung der Ziele des Naziregimes, eine tiefergehende Bewertung dieser historischen Tatsache bleibt aber aus.
Das Buch ist enttäuschend, kann in keiner Weise mit den drei deutschen Veröffentlichungen in den vergangenen Jahren mithalten. Bezeichnend ist, das Jones immer wieder die Dissertation von Lisa Stallbaumer über die Beteiligung des Flick-Konzerns an der Arisierung jüdischer Betriebe zitiert, welche ebenso im Vergleich zu den deutschen Publikationen sehr oberflächlich wirkt.
Marcus O. Jones (2012): Nazi steel. Friedrich Flick and German expansion in Western Europe, 1940-1944. Annapolis: Naval Institute Press.
Von Dr. Oliver Hirsch